Ein außergewöhnliches Denkmal mit spannender Baugeschichte
Hand aufs Herz: Was ist ein Palais? Die Bezeichnung wird ebenso für Schlösser und Herrenhäuser oder auch für öffentliche Gebäude und prächtige städtische Wohnhäuser verwandt. Hergeleitet ist der Name von den römischen Kaiserbauten auf dem Palatin, Palast lautet die deutsche Übersetzung. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat in den vergangenen 40 Jahren über 20 solcher Palais in verschiedenen Bundesländern gefördert. So etwa ist das Japanische Palais in Dresden, das sich August der Starke im frühen 18. Jahrhundert als Porzellanschloss erträumte, einer der bedeutendsten und repräsentativsten Barockbauten der Stadt. Das ehemalige Präsidialpalais in Regensburg entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Auftrag von Fürstprimas Carl von Dalberg als Residenz für den französischen Gesandten am Immerwährenden Reichstag. Und im ehemaligen Stadtpalais in der Schachterstraße in Glückstadt, das 1645 errichtet und 1710 zur heutigen Größe erweitert wurde, wohnten einst Doctores Medicinae.
Das heutige Palais Rantzau ist für die Hansestadt Lübeck ein einzigartiges Beispiel der Neugotik. Der Bauherr, Kuno Graf Rantzau-Breitenburg, ließ mit dem erneuten Umbau der ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammenden Domherrenkurie die Gotik wieder aufleben. Gemäß der damaligen Begeisterung für das Mittelalter wollte er seinen Wohnsitz im Stadtpalais in Lübeck zeitgemäß „modern“ gestalten.
So entstand 1858 in romantisierenden neugotischen Formen das Palais Rantzau unter Verwendung der letzten freistehenden, ursprünglich gotischen Domherrenkurie, die im Innern des Gebäudes noch erhalten ist. Sie lässt sich an den starken Mauerquerschnitten und dem rückwärtigen gotischen Giebel noch gut ablesen. Die gotischen Kellergewölbe und die Brandwände stammen aus der Erbauungszeit, die dendrochronologisch auf 1317 datierten Hölzer des Dachstuhls allerdings aus einer späteren Zweitverwendung.
Der gotische Bau erfuhr in späteren Jahrhunderten vielfache Umbauten. So ist im Obergeschoss ein Rokokosaal von 1762 erhalten, den Johann Nepomuk Metz gestaltete. Ihn schmücken ausgedehnte zarte Stuckarbeiten. In dieser Zeit erhielt die langgestreckte dreigeschossige Domherrenkurie, die im Mittelalter in Backstein errichtet wurde, durch zwei Anbauten in Ost-West-Richtung einen fast quadratischen Grundriss. Erhalten sind zudem in einem Erdgeschosssaal einige im 17. Jahrhundert bemalte Deckenbalken sowie barocke Türeinfassungen.
Nach der Auflösung der Domkurie 1805 wurde das Gebäude nach seinem Verkauf an die Grafen Rantzau im Zuge der Erweiterung 1858 fast vollständig neugotisch überformt. Aus der Bauzeit stammen die heutigen Fassaden, insbesondere die markante Hauptfassade. Sie schmückt ein aufwändiger Staffelgiebel mit vieleckigen Türmchen sowie ein Balkon, der von ornamentalen und figurenbesetzten Konsolen getragen wird. Die Gebäudeecken sind einmal durch einen über Eck gestellten Doppelerker mit Staffelgiebel und ein anderes Mal durch ein vieleckiges Ecktürmchen betont.
Ebenfalls zur Domkurie gehörig hat sich das über Eck anstoßende Nebengebäude in der Kapitelstraße 9 erhalten. Auch in diesem Nebengebäude findet sich im Kern noch das mittelalterliche Mauerwerk. Das Erdgeschoss diente einst als Pferdestall, im Obergeschoss lag die frühere Bediensteten- und Kutscherwohnung. Auch hier wurde das Äußere im Zuge des Umbaus neugotisch ausgestaltet. Die Stalleinrichtung ist bis heute im Wesentlichen erhalten und zeigt den Fußbodenbelag, die Futtertraufen und Holzsäulen der Umbauzeit.
Durch die Vernachlässigung der Bauunterhaltung traten umfangreiche Feuchteschäden im Mauerwerk und im Traufbereich auf, außerdem bildeten sich starke Rissbildungen an der rückwärtigen Fassade. Verunstaltende und zerstörende Einbauten, die völlig verbrauchten Oberflächen sowie die veraltete Haustechnik verschandelten das einst prächtige Palais in den 1990er Jahren zunehmend. Der im zweiten Obergeschoss entdeckte Hausschwamm, versalztes Mauerwerk, abplatzende Fassaden- und Innenputze sowie die unzureichende Gründung stellten schwerwiegende Mängel dar. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz übernahm das Objekt 2002, um es nach einer gründlichen Restaurierung wieder einer denkmalgerechten Nutzung zuzuführen. Bis 2019 war der Bau an das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) vermietet. Nach einer weiteren Restaurierung zog 2020 der Bereich Stadtgrün und Verkehr der Hansestadt Lübeck in das Palais. Der Rokoko-Saal wird weiterhin für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
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Seit ihrer Gründung vor 40 Jahren förderte die private Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) über 2.130 Maßnahmen an „Herrschaftlichen Bauten“. Die 1985 gegründete spendensammelnde Stiftung unterstützt engagierte private, kirchliche und kommunale Denkmaleigentümer beim Erhalt ihrer Bauwerke. Denkmalpflege als staatliche Aufgabe wird wir dank dieser bürgerschaftlichen Unterstützung zu einem gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Die DSD konnte bisher für den Erhalt von 7.400 Denkmalen unserer Baukulturlandschaft mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro zur Verfügung stellen und damit ein deutliches Zeichen setzen. |